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Der Ballermann von China
Wir kommen am Abend in Lijiang an und umkreisen schon mit dem Bus die berühmte, historische Altstadt. Wir rechnen mit einer touristischen Stadt. Als wir jedoch am späten Abend zum ersten Mal das Areal betreten und die ersten Eindrücke auf uns wirken, sind wir geradezu schockiert. Die traditionellen und noch sehr alten Holzhäuser verschwinden hinter dem Strom aus Menschenmassen, die sich durch Gassen drängen. Darüber hinaus reihen sich Souvenirshops und Restaurants mit völlig überteuerten Preisen aneinander. Aus den kleinen Bars im ersten Stock der Häuser klingt Live- Musik, die teils sogar gut anzuhören wäre, würden nicht etliche Gesänge direkt nebeneinander zusammen rauschen. Spätestens als wir die Strasse erreichen, in welcher Clubs und größere Bars mit lauter Musik die Strasse beschallen und sich spärlich bekleidete Damen im Fenster räkeln, um die Gäste anzuziehen, erinnert uns dieser Ort doch mehr an den Ballermann als an eine traditionell chinesische Stadt.
Die 180 Grad Wendung
Gleiche Stadt, sieben Uhr am Morgen, es wird gerade hell. Die ersten Strassenkehrer gehen ihrer Arbeit nach. Der Duft von frisch gedämpftem Brot liegt in der Luft. Schulkinder machen sich bereit zum Aufbruch. Die Geschäfte in den Strassen sind, bis auf wenige, die langsam ihre Türen öffnen, noch geschlossen. Eine herrliche Ruhe liegt in den kleinen Gässchen der Altstadt von Lijiang. Wir schlendern gemütlich und beeindruckt über die großen Pflastersteine. Links und rechts säumen wunderschöne, teils restaurierte, teils sehr alte Holzhäuser die kleinen Gässchen.
Unter den zum Ende spitz und geschwungenen zulaufenden Dächern baumeln hier und da typische, rote Lampions herunter. Die Fenster und Fassaden sind mit hübschen Schnitzereien verziert. Zwischen den Gassen läuft der Fluss entlang, den niedliche, kleine Holzbrücken kreuzen. Viele gemütlich und einladend wirkende Unterkünfte befinden sich ebenfalls in den meist sanierten Gebäuden. Es könnte so schön sein in Lijiang. Aber wäre es nicht vermessen dem Ort selbst eine Negativnote zu geben, wenn es doch eigentlich der Rummel ist und die Touristen sind, die das Leben hier so drastisch verändern? Wir sind positiv überrascht und ehrlich angetan von dem Lijiang, welches uns zu dieser Tageszeit begegnet.
Tür an Tür mit dem authentischen Leben
Die Umschreibung trifft im wahrsten Sinne des Wortes zu, denn die Türen der Altstadt schliessen direkt an die des Zhongyi- Marktes an. Und doch spielt sich hier noch das ganz „normale“ Leben ab. Gemüse-, Obst-, Fleisch- und Fischwaren werden hier ebenso feil geboten, wie alltagspraktische Gegenstände.
Schon auf anderen Märkten habe ich mich gefragt, wie das Geflügel hier wohl getötet wird, da die toten und gerupften Tiere verhältnismäßig unversehrt wirken und der komplette Körper zum Verkauf aussteht. Die Antwort hierauf bekomme ich nun. Neben den obligatorischen Frischfleisch- Theken auf denen Schweinsköpfe oder Hühnerfüsse dargeboten werden, gibt es gleich vor Ort eine Geflügelschlachterei. Wie am Fliessband läuft die Arbeit hier.
Auf einer Mauer aufgereiht stehen kleine Schüsseln mit frischen Blut, dass sorgfältig aufbewahrt wird. Zur Tötung werden die Füsse der Gänse und Hühner festgehalten, der Kopf nach hinten gebogen, dann folgt ein Kehlenschnitt, im Anschluss ein etwa 30 Sekunden langes Ausbluten, fertig! Die noch zappelnden Körper werden bis zum erlösenden Tod in eine Tonne geworfen. Über eine Schleuder und ein Heisswasserbad gelangen die Kadaver kurz ins Ofenrohr, um danach abgewaschen zu werden. An welcher Stelle sie die Federn verlieren ist mir nicht ganz ersichtlich. Im Feuer, so vermute ich, werden aber schon deren letzte Überreste entfernt. So emotionslos wie ich die Situation schildere ist sie in der Praxis nicht. Emotionslos wäre hier weit untertrieben. Die Beschäftigen sind mit einer solchen Routine und Abgeklärtheit am Werk, wie man sie in solchen und ähnlichen Berufen vermutlich hat oder haben muss. Die hygienischen Bedingungen allerdings würden jedem Metzger in Deutschland die Haare zu Berge stehen lassen. Aber das ist alles relativ. Während ihrer Arbeit zwischen den Frischfleischbergen rauchen und essen die Menschen genüsslich.
Verhältnismäßig unverhältnismäßig
Unsere positive Einstellung zu China ist bislang ungebrochen. Zudem lässt es sich wunderbar und günstig hier leben. Die Unterkünfte stehen in der Regel in einem günstigen Preis- Leistungsverhältnis, das Essen ist gut und in den einheimischen Lokalen auch günstig. Das, aus unserer Sicht, teilweise unverschämte Preisniveau im Hinblick auf die Eintrittsgelder nagt aber manchmal an der harten Schale unserer Toleranz. Die chinesische Tourismusindustrie saugt die Besucher aus, wobei es keine Rolle spielt, ob dies Einheimische oder Ausländer sind. Natürlich zahlen wir im Normalfall Eintritte und sehen hier auch die Notwendigkeit gegeben, egal wo auf der Welt wir uns befinden. In China jedoch sprengen oft zusätzliche Gebühren oder Eintrittsgelder an Orten, an welchen dies sehr fragwürdig erscheint, den Rahmen. Was wollen und was können wir uns leisten ist sicher eine Seite der Medaille. Hier in China hat es für uns aber auch oft mit den Verhältnismäßigkeiten zu tun, ob wir zahlen möchten oder nicht. Tatsächlich könnten wir uns keine zwei Monate China leisten, würden wir jedem Spot nacheifern. Ein Beispiel stellt Lijiang dar. Die Altstadt besteht, wie schon erwähnt, aus Geschäften, Restaurants und Unterkünften, die, aufgrund ihrer Lage natürlich exorbitante Preise erheben.
Absurderweise reichen diese Einnahmen aber offenbar nicht aus. In der Zeit zwischen 8 Uhr morgens und 19 Uhr am Abend wird eine Eintrittsgebühr von einmalig mehr als 10 € erhoben. Quasi zahlt man als Tourist dafür, dass man im inneren Altstadtkern extrem teuer einkaufen, leben oder essen möchte. Ein anderes Beispiel ist die Tigersprungschlucht. Wir befinden uns in Mitten der Natur. Um in die Schlucht über eine öffentlich befahrene Strasse zu gelangen bedarf es eines Eintritts. Will man dann aber tatsächlich zum zentralen Spot in die Schlucht selbst hinunter wandern, zahlt man erneut eine Gebühr. Das Ticket gilt nur für die Strasse und den oberen Bereich der Schlucht.
Lijiang – Der Park des Teichs des schwarzen Drachens
Unseren Aufenthalt in Lijiang gestalten wir so, dass wir die Eintrittsgebühren umgehen. Nur früh morgens vor acht und abends betreten wir die Altstadt. Für unseren morgendlichen Rückweg vom Markt (nach 8 Uhr) haben wir einen Schleichweg ohne Ticketkontrolle gefunden. Die Besichtigung des Parks des Teichs des schwarzen Drachens in der Nähe des Stadtkerns bietet keine Lücke, sich des Eintrittsgeldes zu entziehen.
Nach einigen Pros und Contras haben wir uns aber dagegen entschieden, die Gebühr zu zahlen und wollen den Park von unseren Unternehmungen ausschliessen. Daher sind wir freudig überrascht, als Alex und Helen, die beiden Briten, die wir schon in Chengdu kennengelernt haben, uns ihre Eintrittskarte für einen Tag ausleihen. Eine kleiner Spaziergang führt uns also doch durch den Park vor dem hübschen Panorama des Jadeschneebergs. Eine nette Unternehmung. Aber wir sind froh, eigens hierfür kein Geld ausgegeben zu haben. Als Dank testen wir mit Helen und Alex ein paar Gläschen chinesischen Whiskeys- der hat es in sich.
Baisha
Friedlich ist wohl das Adjektiv, welches das Örtchen Baisha ganz gut beschreibt. Das Dorf liegt nur einige Kilometer von Lijiang entfernt. Aufgrund der historischen Gebäude, die auch hier bewahrt wurden, wird auch Baisha natürlich von Touristen heimgesucht. Als wir am Nachmittag mit dem Bus eintrudeln (eigentlich wollten wir mal wieder Fahrräder leihen, aber der Regen des Morgens hat uns hiervon abgehalten) sind hier und da Touristen zu sehen. Es gibt nicht viel zu erkunden, aber der Ort ist nett und gemütlich. Einige Restaurants und Souvenirläden, ein paar Unterkünfte und die alten Bauten liegen nur ein paar Schritte vom Dorfrand und der Natur entfernt. Nachdem wir die Strassen hoch und runter spaziert sind, setzt der Regen ein. Eine weise Entscheidung, nicht das Fahrrad genommen zu haben. Wir machen es uns also gemütlich. In möglicherweise einer der kleinsten Brauereien Chinas. Es gibt selbstgebrautes Hefeweizen in original deutschen Weizengläsern. Nicht nur, dass in China kaltes oder gar Fassbier selten ist, auch gutes Bier gibt es hier eigentlich nicht wirklich. In diesem kleinen Örtchen also geniessen wir, passend zum Oktoberfest, das beste und leckerste frisch gezapfte Bier während unseres bisherigen Chinaaufenthaltes.
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2 Kommentare
Was mir noch als weitere Absurdität in Erinnerung blieb: all diese auf „kleiner Laden“ gemachten Geschäfte hatten das komplett selbe Sortiment. Es gab in komplett in Lijiang gefühlt nur 6 Ladengeschäfte – die sich in immer neuer Kombination wiederholten. Ich habe bis heute einen Ohrwurm von der scheinbar einen einzigen CD, die in den Musikgeschäften verkauft wurde und deren 30-Sekunden-Jingle überall in der Stadt erklang.
Und zu den Preisen in der Tigersprungschlucht noch eine Anmerkung: das sind zum Teil Privatwege, die von den ansässigen Bauern angelegt und instandgehalten werden. Aber generell stimme ich zu: es fühlte sich immer ganz schön schräg an für Natur mehrfach Eintritt zu bezahlen in China. Das war eigentlich an allen Orten so mit Eintritt, Zweitritt und teils Dreitritt.
Ja, da sagst du was, es gab einen einzigen Megahit und der wurde in jedem Shop ständig rauf und runter gespielt, auch mich verfolgt der Ohrwurm heute noch 🙁