In einer anderen Welt – unsere Reise zu den Tsaatan

von Edith

Tag 1: Die Anreise zu den Tsaaten – Eine extrem raue Piste

Es regnet aus Eimern als wir nach dem Frühstück in Khatgal aufbrechen. Wir haben uns mit Liam und Justin aus den USA zusammengetan und fahren in einem russischen UAZ in Richtung Darkhard Senke, nordwestlich des Khövsgöl Nuur Sees. Hier wollen wir die Volksgruppe der Tsaatan besuchen. Deren Lager liegt weit ab vom letzten mit dem Auto noch anfahrbaren Ort Tsagaanuur und ist nur mit dem Pferd erreichbar. Für die mehr als 300 km nach Tsagaanuur sind 10 Autostunden auf nicht asphaltierter und holperiger Strasse eingeplant. Das wird sicher nicht die entspannteste Fahrt, aber es ist auch nicht das erste Mal, dass wir eine lange Strecke auf einer „bumpy road“ zurücklegen müssen. Also alles kein Drama- denken wir.

Krasser Scheiss! Derb, aber absolut treffend ist diese Fahrt nicht anders zu umschreiben. Es sind tatsächlich 10 Stunden, die wir durch wunderschöne Landschaften, aber ein extrem unwegsames und durch den starken Regen zudem sehr schlammiges Gebiet fahren.

Der Wagen springt und hüpft über die raue Piste. Stetig. 10 Stunden, in denen unsere Muskeln konstant angespannt sind. 10 Stunden, in denen wir uns an den Griffen im Fahrzeug festhalten müssen, um nicht gegen die Decke oder durch das Auto zu fliegen. 10 Autostunden ohne eine Minute der Entspannung- und das ist keine Übertreibung! Als wir gegen neun Uhr am Abend Tsagaanuur erreichen sind wir vollkommen erledigt.

Tsagaanuur liegt bereits soweit ab von allem, dass wir auf dem Weg hierher nur zwei kleine Orte auf endlosen Kilometern in einsamer Naturschönheit passieren. Es gibt hier keine Duschen, die unsere schmerzenden Glieder entspannen könnten. Daher fallen wir nur noch ins Bett. Und all das, obwohl wir noch nicht einmal eine Stunde auf dem Pferd gesessen haben. Wie sollen wir die nächsten Tage bloß durchstehen?

Tag 2: Auf dem Pferd zu den Tsaatan Rentierhirten

Der Regen ist strahlendem Sonnenschein gewichen. Unsere Knochen und Muskeln haben sich im Schlaf erholt. Ein guter Start. Gegen Mittag reiten wir mit Gua und Mogi, die uns als Guides für die Pferde zur Seite stehen, los.

Der Ritt ist auf sechs Stunden angesetzt, wobei sich das als Trugschluss erweist, im positiven Sinne. Wir verbringen nur 4 1/2 Stunden auf dem Rücken der Pferde, die uns durch die grandiose Landschaft tragen. Großartige Stunden, denn wir reiten, ohne von starken Schmerzen oder anderen Wehwehchen geplagt zu sein. Das Pferd ist nicht mehr nur ein Fortbewegungsmittel, um die Tsaatan zu besuchen. Nein, das Reiten macht geradezu richtig Spass. Spätestens als wir mehrere Flüsse und ziemlich unwegsames Gelände durchqueren, packt uns die Lust mehr Abenteuer auf dem Pferd zu erleben.

In besten Abendlicht erreichen wir den Lagerplatz der Tsaatan. Wir erwarten eine karge Landschaft in den Bergen. Vermutlich, weil wir von dem harten Leben dieser Menschen in schroffer Natur gehört haben. Aber es ist anders als alles, was wir uns vorgestellt haben. Unsere Pferde führen uns in ein idyllisches, saftig grünes Auental. Eingerahmt von einer mit Nadelwäldern bewachsenen Berglandschaft. Auf der Wiesenfläche bis hinein in den Berghang ragen Schornsteine aus weißen Tippis empor. Die Tsaatan leben im Gegensatz zu anderen Mongolen nicht in Gers. Tatsächlich erinnert der Ort ein bisschen an ein Indianer-Reservat. Einzig die Rentiere, die zwischen den Tipi-Zelten weiden, passen nicht so recht in dieses Bild.

Ein herzlicher Empfang erwartet uns, als wir im Tipi unserer Gastgeber einkehren. Das zelt hat vielleicht einen Durchmesser von 5- 6 Metern. Tubjan und Taiwang leben hier mit ihren fünf Kindern. Wir lernen die siebenjährige Marla, ihren fünfjährigen Bruder Timolin und den, mit knapp 2 Jahren, jüngsten Spross der Familie, Timojin, kennen. Die beiden älteren Geschwister leben nur zeitweise hier, da sie im Ort zur Schule gehen. Obwohl weder Gua und Mogi, noch unsere Gastgeber englisch sprechen, verständigen wir uns irgendwie mit Händen und Füssen. Tubjan kümmert sich liebevoll um uns und erklärt die Familienverhältnisse. Als Gästen steht uns der Schlafplatz der Familie zu. Heisst, wir dürfen unsere Isomatten auf dem mit Stoff ausgelegten Teil des Tipi-Bodens ausbreiten. Die fünf Familienmitglieder schlafen, ebenso wie Gua und Mogi, auf Matten auf dem Boden am Eingang des Zeltes. Vermutlich noch beengter und unbequemer, als es auch für uns schon ist. Aber so läuft das mit der Gastfreundlichkeit. Immer das Beste für den Besuch.

Tag 3: Ein Tag im Leben der Tsaatan Rentierhirten

Das Volk der Tsaatan (mongolisch: „Jene die Rentiere haben“) ist eine der letzten Gruppen auf der Welt, die noch heute traditionell als Rentierhirten leben. Ursprünglich besiedelten die Nomaden russische Areale jenseits der Grenze. Heute bevölkert die stark gesunkene Population der Gemeinschaft die mongolische Taiga, weit im Norden, nahe der russischen Grenze. Die letzten etwa 200 Mitglieder leben hier weiterhin ihrer Tradition entsprechend in etwa 25 Tipis zusammen.

Die Nomaden wechseln jeweils zu den vier Jahreszeiten ihre Lagerplätze. Dabei variieren die Entfernungen zum nächstgelegenen Ort Tsagaanuur erheblich. Der derzeitige Herbststandort liegt nur knappe fünf Reitstunden vom Dorf weg, während die Sommerwiese deutlich weiter entfernt ist. Nur während der Wintermonate sind die Tsaatan auch mit dem Auto erreichbar. So idyllisch der Ort dieser Tage auch wirkt, so hart muss das Leben der Menschen hier sein. Einzig die Tipis bieten Schutz vor Regen und Eiseskälte. Temperaturen bis zu minus 30 Grad Celsius in den Wintermonaten sind nicht ungewöhnlich. Im Zelt steht zwar ein Ofen, der zum Kochen und Heizen genutzt wird, doch dieser reicht selbst jetzt nicht aus, um es im Inneren konstant warm zu halten. In den Nächten wird es im Tipi unangenehm kalt. Der Fluss, der sich durch das Lager schlängelt, sorgt für frisches, aber eiskaltes Wasser.

Dieses dient nicht zuletzt zum Waschen des eigenen Körpers. Waschgelegenheiten oder gar ein Klohäuschen gibt es hier nicht. Lediglich ein Loch in den Hügeln, dass von drei Seiten mit einer halbhohen Plastikplane umzäunt ist, könnte man als Toilette bezeichnen. Das Loch ist jedoch so niedrig ausgehoben, dass Urin und Fäkalien, die hinein plumpsen einem automatisch wieder gegen den blanken Po spritzen. Daher entscheiden wir schnell, unsere „Toilette“ hinter den Büschen zu suchen. Hier ist man im Zweifel auch ungestörter. In den Senken der Wiese behalten wir keine trockenen Füsse. Eine regelrechte Sumpflandschaft umgibt die Tipis. Die Rentiere sind angebunden, werden aber zum Weiden tagsüber frei gelassen. Von ihnen leben die Menschen. Die putzigen Tierchen werden regelmäßig gemolken. Deren Milch und der selbst produzierte Käse dienen ebenso wie das Fleisch als Grundnahrungsmittel.

Selbstgebackenes Brot (himmlisch!) und verschiedene Lebensmittel aus dem Dorf scheinen die einseitige Ernährung etwas auszugleichen. Es erschliesst sich uns nur schwer, womit genau die Menschen ihre Tage verbringen. Sicher, sie müssen für Holz und Wärme, die Beschaffung und Produktion von Lebensmitteln sorgen. Grundlegend ist ebenso die Versorgung der Pferde und Rentiere. Darüber hinaus kommen Touristen hierher, die versorgt werden. Wie erfüllend diese Tätigkeiten sind, was es darüber hinaus in dieser schroffen Lebenswelt alles zu tun gibt, erfahren wir in der Kürze der Zeit nicht. Fakt ist aber, dass trotz der Touristen, die diesen Ort besuchen, die Lebensweise absolut authentisch zu sein scheint. Wir fühlen uns wie in einer anderen Welt. Fern ab von jeglicher, uns bekannter Zivilisation.

Informationen über die Rentierhirten der Tsaatan sind nur schwer zu finden. Unser Bericht setzt sich aus unseren eigenen Erfahrungen, den Erzählungen von Dava und aus dem Reiseführer zusammen. Daher ist alles, wie die Lottofee sagen würde, ohne Gewähr. Die Menschen sind verhältnismäßig arm. Dies wirkt in Anbetracht der Lebensweise auf uns jedenfalls so. Sie scheinen aber durchaus Geld zu verdienen. Durch den Verkauf von Rentiersouveniers und – produkten (Messer, Schmuck, Fell) oder von Touristen, die hier einige Tage verbringen.

Die Meinungen darüber, ob sie nicht damit umzugehen wissen oder, ob sie so, wie sie leben, zufrieden sind, scheinen geteilt. Das wird deutlich, als ich die westlich geprägte Dava mit ihrem Mann darüber diskutieren höre. Sie hat klare Ansichten, dass die Tsaatan ihren Kindern mehr Komfort bieten müssen. Sei es einen Tisch und Stühle und eine etwas wetterfestere Unterkunft. Als sie mit Maja auf mongolisch darüber spricht, merke ich schnell, dass sie die Diskussion nicht zum ersten Mal führen. Dava beendet sie irgendwann kopfschüttelnd und sagt, dass Maja glaubt, dass die Tsataan nichts ändern müssen. Tatsache ist aber, dass die Zahl der Bewohner in der Taiga merklich schwindet und neue Mitglieder von aussen nur selten zu diesen harten Lebensumständen übersiedeln. Das wäre notwendig um Inzest entgegenzuwirken, aber auch um langfristig die Traditionen des Volkes zu erhalten und zu schützen.

Tag 4: Der Regen kommt wieder

Schon in der Nacht setzt der Regen ein, es gewittert. Justin regnet es durch die Tipidecke auf den Kopf, Stephans Schlafsack ist morgens am Fussende komplett durchnässt. Hier wird noch einmal mehr deutlich, wie extrem die Lebensbedingungen sind. Als Gua und Mogi uns am Morgen wecken, schwant uns Böses. Wir werden durchweicht und krank sein, wenn wir zurück in Tsagaanur sind. Nach einem reichhaltigen Frühstück aus frischem Brot, Rentier-Frischkäse und Milch, beladen wir die Pferde und brechen auf.

Der Regen stoppt. Das Wetter meint es gut mit uns. Lediglich ein paar Tropfen beschert uns der Himmel einige Stunden später. Einzig die zahlreichen Flussdurchquerungen und die nasstropfenden Sträucher und Bäume durch die wir uns schlängeln, bringen uns nasse Füsse und Kleidung. Selbst die Sonne lässt sich am Nachmittag kurz und wärmend zwischen dem mit grauen, dichten Wolken verhangenen Himmel blicken. Gut so, denn die feuchten Klamotten lassen uns ganz schön frieren. Umso mehr freuen wir uns dann auch bei der Ankunft in Tsagaanuur über strahlendes Sonnenwetter und einen warmen Ofen. Die Wodkaflsche, die wir mit Liam und Justin am Abend leeren, trägt ihr Weiteres zur inneren Wärme bei.

Tag 5: Eine quälend lange Rückfahrt

Wir wissen ja, was uns erwartet. Das macht es leider nicht besser. Zudem scheint der Fahrer unseres Gefährtes gerade einen neuen Fahrer einzuarbeiten, der sich mit ihm abwechselt und erheblich langsamer fährt. Wir brauchen quälend lange, nicht vorübergehen wollende 10 1/2 Stunden bis wir endlich im Camp in Khatgal ankommen. Dava empfängt uns mit dem Hinweis, dass das Feuer für unser Duschwasser brennt. Eine Dusche! Welch herrlicher Luxus!

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6 Kommentare

Tim 20. August 2016 - 10:35 pm

Abenteuer auf dem Rücken eines Pferdes, echt spannend. Hoffe die Sonne scheint bald wieder gut euch.

Antworten
Tim 20. August 2016 - 10:35 pm

Für euch…

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Edith 21. August 2016 - 2:27 am

Hallo Ihr Lieben, die Ihr alle unserer Reise folgt,
es ist schön mitbzubekommen, dass Ihr unsere Berichte so zahlreich lest und unseren Weg begleitet. Vor allem haben wir uns über die verschiedenesten Kommentare gefreut. Wir haben und können nicht jedem einzeln antworten, da wir ja auch nebenbei noch ein wenig reisen und in die Welten hier eintauchen möchten. Danke aber Euch allen hierfür!
Die besten Grüße aus der Mongolei,
Edith und Stephan

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Michael Grendel 11. September 2016 - 7:33 pm

Hallo ihr beiden…..ich habe gestern den Frederik getroffen. Der hat mir von eurer spannenden Reise erzählt. Ich bin schwer beeindruckt mit welcher Einstellung ihr Land und Leute begegnet! Ich wünsche euch eine glückliche und spannende Zeit…..
Viele Grüße aus Essen. Michael Grendel.

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Edith 14. September 2016 - 8:20 am

Hallo Michael,

schön von Dir zu hören, freut mich sehr, da wir uns lange nicht gesehen haben. Danke dür die Wünsche und die besten Grüße aus China,
Edith

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Winfried 20. November 2016 - 2:29 pm

Hallo Ihr zwei,
vielleicht erinnert Ihr Euch an die kleine Truppe aus Deutschland. Wir waren mit dem Toyota Landcruiser unterwegs und haben unsere Tour fortgestzt als Ihr aufgebrochen seid. Es war noch grandios, zelten beim ersten Frost in 2.500 m Höhe, Angeln auf Äschen, Übernachtung bei Hirten. Ulaan Batar hat uns dann doch wieder geschockt. Der Abschied von der Famolie war sehr herzlich. Ich bin auf jeden Fall nicht das letzte Mal dort gewesen.
herzliche Grüße aus Potsdam
Winfried

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