Ein Hauch von Tibet – Xiahe und das Kloster Labrang

von Edith

Auf fast 3000 Metern in Labrang

Um kurz nach fünf Uhr morgens klingelt der Wecker. Wir möchten das religiöse Leben rund um das Kloster Labrang mit den ersten Sonnenstrahlen erleben. Der Hauptort Labrang, der dem Kloster seinen Namen gibt, ist Teil des autonomen Bezirks Xiahe mit etwa 80000 Einwohnern und gehörte ehemals der tibetischen Provinz Ambo an. Wir befinden uns auf fast 3000 m Höhe. Das hier wechselhafte Wetter scheint der Hauptgrund dafür zu sein, dass unser erster Versuch, das Kloster im Sonnenschein zu besuchen, vom wolkenverhangenen Himmel torpediert wird.

Die großen Nebelschwaden, die sich um die umliegenden Berge winden tauchen die Stadt und den Klosterkomplex in eine schaurig schöne Atmosphäre. Das Kloster Labrang gilt als ein wichtiges geistiges Zentrum im Nordwesten Chinas. Eine Vielzahl von Tempelhallen, Kapellen und Mönchszellen befinden sich auf dem Gelände. Der Komplex beherbergt sechs verschiedene Studienfakultäten, in denen Mönche an dieser höheren Lehranstalt des tibetischen Buddhismus studieren können. Darüber hinaus lebt eine nicht registrierte Dunkelziffer junger Menschen hier, die von ihren Eltern ins Kloster geschickt werden. Insgesamt beherbergt das Kloster vermutlich weit über 2000 Novizen.

Ein spannendes Erlebnis, welches wir bisher nicht ergründen können, ist das Spektakel, welches die Novizen allabendlich veranstalten. Auf einem Platz sammeln sie sich in ihren tiefroten Roben, schweren Umhängen und gelben an Posthörner erinnernde Kopfbedeckungen. Unter klatschendem Jubel und Getöse feuert eine Gruppe der Mönche jene an, die in kurzen Abständen einen steilen Pfad hinauf zum Versammlungsort rennen. Oben angekommen beginnen die Mönche ein Klatschritual bei welchem sie Worte zueinander sprechen.

Ein Hauch von Tibet – Pilger um das Kloster Labrang

Wir sind nicht die Einzigen, die zu den frühen Morgensunden auf den Beinen sind, aber sehr offenkundig die einzigen westlichen Touristen. Wahrscheinlich sogar die einzigen Touristen, die das Treiben der verschiedensten Menschen beobachten. Verschieden, zumindest oberflächlich betrachtet, im Hinblick auf ihr Alter, die Kleidung und Physis. Alle aber scheinen sie ihren Glauben gemeinsam zu haben und beschreiten den 3 km langen Pilgerpfad, die Kora, rund um das Kloster Labrang.

Dabei ist ihnen auch allen gemein, ein rasantes Schritttempo an den Tag zu legen. Stephan und ich trotten langsam den Pfad entlang und werden in der Eile der Pilger immer wieder nett gegrüßt und belächelt. Spätestens am zweiten Tag unseres Erscheinens erhasche ich eine Geste der Anerkennung dafür, dass wir den Weg erneut um diese Zeit absolvieren. Wir treffen auf alltagsgekleidete junge und ältere Menschen, die ihren Pilgerweg so zu begehen scheinen, wie andere ihr morgendliches Fitnessprogramm.

Das extreme Gegenteil bilden die Frauen und Männer, die mit zwei kuchentellergroßen, dicken Holzplanken über den wettergegerbten Händen gestülpt intensivste Praktiken des Buddhismus vollbringen. Mit der Gebetskette zwischen den Fingern werfen die Gläubigen alle paar Meter zunächst die Hände in die Luft. Darauf folgt die Berührung der Stirn, des Halses und des Herzens, bevor die Person sich flach zu Boden wirft. Der Kopf ist meist bedeckt mit einem Stroh-/ Sonnen- oder Schlapphut. Bei Frauen ziert manchmal ein Tuch das Haupt und bedeckt auch Teile des Gesichtes. Wie knöchellange Kutten sehen die Stoffe aus, die über eine Schulter geworfen, tief auf der Hüfte mit einem Gürtel oder Band fixiert sind, dessen Ende über das Gesäss herabbaumelt. Wie die Arbeitskleidung eines Metzgers wirken die fast bodenlangen Schürzen, die darüber gebunden sind.

Auffälliger als ihre männlichen Glaubensgenossen sind die Damen. Sie tragen ihre langen, oftmals ergrauten Haare zu zwei Zöpfen geflochtenen, die trichterförmig zu einem weiteren Knoten auf dem Rücken zusammenlaufen. Schwerer Schmuck hängt an ihren Ohrläppchen herunter. Diese traditionell, religiöse Kleidung ist abhängig von Erfahrung und Status, was erklärt, warum so häufig alte und gebrechliche Menschen hierin zu sehen sind. Sie sind es aber nach meiner Wahrnehmung auch, die in der Regel den intensiveren und beschwerlicheren Weg des Pilgerns auf sich nehmen und der körperlichen Herausforderung des Niederwerfens zollen.

Ein kleiner unwissenschaftlicher Exkurs in den tibetischen Buddhismus

Die Praxis des Niederwerfens ist eine sehr ausgeprägte Form des Pilgerns. Allen Gläubigen gemeinsam ist aber das Umrunden der heiligen Stätte im Uhrzeigersinn, wodurch sie ihre starke Zuneigung unter Beweis stellen und durch jede Umrundung karmische Verdienste erlangen möchten. Der Weg und somit auch das Ziel des Marsches ist es, in sich einzukehren und zur Besinnung zu kommen. Hier findet der Glaube Ausdruck, dass das Leben der Menschen sich in gleicher Weise um Buddha dreht, wie die Planeten um die Sonne herum kreisen.

Während die Pilger die Kora beschreiten werden im Vorbeigehen etliche Gebetsmühlen gedreht werden, deren Geräusch konstant in den Ohren klingt. Papier- und Stoffrollen im Innern der Mühlen sind mit Gebeten bedruckt. Durch jede Drehung einer Gebetsmühle sollen diese Gebete in Richtung des Himmel gesendet werden und dem Pilger ebenfalls Vorteile für sein Karma erbringen. Die Gebetsketten, die in er Regel aus 108 Perlen bestehen (108 gilt im Buddhismus als heilige Zahl) kreisen durch die Finger, um den Namen Buddhas 100 Mal zu zitieren. Die größte Perle markiert dabei das Ende eines Zyklus.

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Aufeinandertreffen der Kulturen

Labrang ist ein kulturell und religiös sehr gemischter Ort. Chinesen und Tibeter leben hier, Buddhisten und Muslime. Das Zusammenleben der ethnischen Gruppen wirkt rund. Zwar sind die Ortsteile aufgeteilt in chinesische und tibetische Parts, insgesamt leben die Menschen hier aber gemeinsam, wie es scheint. Offenbar ist diese Idylle aber ein Trugschluss. Die enge Verbundenheit zu ihren Landsleuten im Hochland führten in der Vergangenheit zu Demonstrationen der tibetischen Bevölkerung in Xiahe. In Folge der Proteste war das Gebiet zwischenzeitlich für längere Zeit gesperrt.

Eingebettet in einem Flusstal, umgeben von den nahen, grünen Bergen, erleben wir heute eine eine Stadt in gemächlichem Trott. Mit dem ersten Tageslicht beginnt für viele Menschen der Pilgerweg. Aus den Bäckereien und Suppenküchen riecht es schon früh nach leckerem Essen. Die Geschäfte und Cafés öffnen langsam, beginnend mit den ersten Sonnenstrahlen, schliessen aber auch, sobald es dunkel wird. Wenn wir erst gegen acht Uhr zum Abendessen aufbrechen, sind die meisten Rollläden der Schaufenster und Restaurants bereits geschlossen.

Mountainbiking ist nix für Anfänger

Langrang hat noch mehr zu bieten. Wir leihen uns an zwei Tagen Mountainbikes im Hostel. Nach wenigen hundert Metern hinter der Stadtgrenze stossen wir auf das pure Landleben. Das Fahrradfahren könnte so viel Spass machen. Am ersten Tag auf dem Drahtesel mutmaße ich, dass mir die Strampelei so anstrengend ist, weil das Mountainbike etwas zu klein ist. Wir fahren nicht weit und werden am späten Nachmittag zu Tee und Leckereien eingeladen. Traditionell gekleidete Damen, wie sie auch morgens um das Kloster herum zu sehen sind, pausieren von ihrer Feldarbeit. Natürlich gehen die Frauen davon aus, dass auch wir, wie offenbar jeder Chinese, die obligatorische Thermotasse im Rucksack haben. Große Thermoskannen in den Restaurants (oder hier auf dem Feld), Heißwasserboiler in Bussen, Zügen, auf Bahnhofstoiletten oder der Wasserkocher im Hotelzimmer gehören zur Standardausstattung in China. Die Teeblätter werden immer wieder neu aufgegossen, teils gepimpt mit Trockenfrüchten.

Zurück zum Fahrrad. Spätestens am zweiten Tag unserer Erkundungen, als ich erneut keuchend und ächzend auf dem Sattel sitze (ich habe nun ein anderes Mountainbike, dass von der Größe passt) stelle ich fest: Es liegt nicht am Fahrrad, es liegt an mir oder besser an meiner nicht vorhandenen Kondition. Wir sind, wie schon erwähnt auf fast 3000 m Höhe, fahren bergauf, teils gegen den Wind. Der Weg führt aus Labrang hinaus durch die Berge und geht irgendwann in eine weite Steppe über.

Ganz soweit kommen wir nicht, denn ich muss gefühlt nach jedem gefahrenen Kilometer eine Pause machen. Aber die Landschaft lohnt die Anstrengung. Auf den grünen Bergen und Wiesen flattern an Steelen, Steinhaufen, Zelten oder Brücken überall bunte Gebetsflaggen. Auf den kleinen Flaggen stehen Gebete geschrieben, die sich durch jede Bewegung im Wind in den Himmel richten sollen. Wunderschön – und endlich in der Natur!

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1 Kommentar

Ulrike 21. Juli 2018 - 1:38 pm

Sehr schön! Da hat sich wohl einiges getan, seit ich 1992 dort war! Bei den Fotos kommen Erinnerungen auf an eine tolle Zeit, die ich dort verbracht habe. Das seltsame Spektakel, das Ihr beobachtet habt, ist ein wichtiger Bestandteil des Lebens eines tibetischen Mönches. Auf diese Weise werden religiöse Thesen diskutiert. Der Redner unterstreicht sein Argument, indem er einen Schritt auf seinen auf dem Boden sitzenden Partner zu macht und laut in die Hände klatscht. Ein faszinierendes, sehr ursprüngliches Schauspiel!
LG
Ulrike

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