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Morgens halb sieben in Köln- Neuehrenfeld
Samstag Morgen, 6.30 Uhr: Eine ungehörige Uhrzeit aus Stephans Sicht, der sich in seinen bis unters Dach vollbepackten Smart begibt. Platz ist nur noch auf dem Beifahrersitz. Das stellt sich im Laufe des weiteren Tages als wahrer Glückstreffer hinaus.
Samstag Morgen, 7 Uhr: Ankunft am Uni- Center. Hier findet ganzjährlich immer samstags der Kölner Stadtflohmarkt statt. Eigentlich gut organisiert, herrscht an diesem Morgen ziemliches Chaos auf dem Platz. Der Grund für die frühmorgendlichen Konflikte unter den Ordnungskräften scheint die Abwesenheit eines Stammverkäufers zu sein. Dessen strategisch günstig gelegene Parzelle ist also frei und nach einigem Hin und Her wird dies unser Ort des Handels und Wirkens für die kommenden Stunden.
Samstag Morgen, zwischen 7 und 8 Uhr: Es ist bitterkalt. Der Aufbau des Pavillons und Tapeziertisches lässt uns die Finger taub werden. Die ersten eifrigen Käufer sind bereits auf der Suche nach Schnäppchen. Die alteingesessenen Händler und Kunden weisen freundlich und/ oder bestimmt auf die ungeschriebenen Regeln hin, die wir als Neulinge zu beachten haben.
Samstag Morgen, ab 8 Uhr: Die ersten Sonnenstrahlen wärmen die tauben Finger, der heisse Kaffee den Magen. Die Euros rollen bereits.
Der freie Sitzplatz, charmante Verkaufsgespräche und das Umsorgen fürs leibliche Wohl
Bücher, Kleidung, Küchenutensilien und ein Sammelsurium an Dingen, die sich über die Jahre in der Wohnung oder dem Keller angehäuft haben, stapeln sich auf dem Verkaufstisch. Bis zum Beginn der Reise werden sich die Besitztümer hoffentlich minimieren. Nicht nur, um die Reisekasse aufzupäppeln. Möglichst sollen nur die Gegenstände mit Erinnerungswert und das Minimum dessen eingelagert werden, was wir in einer neuen Wohnung für das tägliche Leben ohnehin wieder anschaffen würden.
Zur Frühstückspause, pünktlich morgens um halb zehn in Deutschland, sind die Einahmen bereits so hoch, dass wir die Kosten für den Standplatz längst doppelt und dreifach heraus geholt haben. Hier kommt die kluge Entscheidung wieder in Spiel, den Beifahrerplatz in Stephans Auto frei zu halten. Putzmunter hat Sabine diesen, ebenfalls früh morgens um halb sieben, eingenommen, um mit sagenhafter Motivation und viel Spaß ihr neues Ehrenamt auszufüllen. Sie erweist sich als knallharte Verkäuferin, hält an den Preisen fest und verhandelt im eng begrenzten Spielraum. Diese Verkaufsstrategie spickt sie mit einem hohen Maß an Charme und freundlich- witzigem Small Talk, so dass die Interessenten schnell überzeugt sind. Neben Sabines Verkaufstalent wird die Aktion „Wohnungsauflösung“ mit selbst gebackenen Leckereien, belegten Brötchen und frischem Kaffee von Kathi und Jörg gefördert, die individuelle Bestellungen aufnehmen.
Plaudereien und Wiederkehrer
Die Unterhaltungen dieser Stunden entwickeln ihre Eigendynamik und verlassen das Terrain des Verkaufens und Handelns schnell. Vor 20 Jahren ist das Pärchen auch um die Welt gereist, dass heute schätzungsweise um die fünfzig ist. Kaufen tun die Beiden nichts, die Plauderei ist jedoch höchst interessant. Woher denn das Poster in dem roten Rahmen käme, welches verkauft werden soll. Original aus Äthiopien. Woher denn dort? Aus Lalibela. Dort sei sie noch nie gewesen, dass sei immer so schwierig gewesen dorthin zu kommen. Die aus Addis Abeba stammende Frau lebt seit 24 Jahren in Deutschland. Mit Erstaunen bekundet sie Interesse an den Reisen in ihr Heimatland und kauft zu guter Letzt das Bild- ohne Rahmen. Die Menschen belasten sich offenbar nicht mit Unnützem. Der Wunsch eines Käufers nur die Hülle des Badmintonschlägers für zwei Euro zu kaufen, setzt sich durch. Das Angebot für drei Euro den Badmintonschläger dazu zu bekommen, schlägt er aus. Er nimmt die Hülle auch für drei Euro- ohne den Schläger. Die Menschen kehren immer wieder zurück zum Stand, sei es, um den einen bestimmten Gegenstand dann doch endlich zu kaufen oder, weil „das hier echt der beste Stand ist“. Eine junge Frau und ihr Freund plauschen, stöbern und kaufen mit großer Freude zu mindestens drei verschiedenen Zeiten.
Alles muss raus!
Sabine setzt ihr ganzes Können wieder mal ein und dreht eine ganze Kabelkiste irgendeinem Händler an einem anderen Stand an. Obwohl nur verschenkt, bedarf auch dies einer gewissen Fähigkeit. Spätestens beim Einpacken sollen die Besitztümer für kleines Geld rausgehauen werden. Das ist aber, wie sich herausstellt, ebenso schwierig, wie großzügige Schenkungen an die Kundschaft. Wie schon festgestellt: Sie belasten sich nicht mit Unnützem. Es bedarf einiger Überredungskünste und talentierten Verkaufsgesprächen.
Stephan begibt sich hier mit einem sympathischen Mann seines Alters fast schon auf die Comedybühne. Das Ergebnis der Einzelstück- Verhandlungen, die alle in einem Kausalzusammenhang stehen, ist eine leere Geldbörse des Käufers und die Veräußerung von Handschuhen, einer Mütze, einer Hose und eines T-Shirts. On top gibt es eine Weinflaschen- Geschenkverpackung und diversen Kleinkram. Mit großem Spaß an der Sache kommentiert der Mann seine absurden Einkäufe und bedankt sich ehrlich für das nette Gespräch.
Abschied und Freiheit
Die Stunden vergehen, kurzweilig ist das Unterfangen. Über den Verkaufstisch gehen Gegenstände, die wir unter anderen Umständen wohl nicht verkauft hätten. Sei es aus sentimentalen Gründen, weil sie zu einem bestimmten Lebensabschnitt einfach dazu gehören. Oder aus einem rein praktischen Anlass, weil sie ja noch einmal gebraucht werden könnten. Der Abschied von solch materiellen Dingen fällt im Vorfeld oft schwer. Beim Verkauf fühlt es sich wie ein Befreiungsschlag an, mehr und mehr und mehr abzugeben. Eine Last stellen am Ende des Tages nur all die Kisten dar, die noch gefüllt sind mit Büchern, Kleidern und diversem Kleinkram, deren Besitzer noch nicht gewechselt hat.
Ein erster Kassensturz rückt diese Tatsache in den Hintergrund. Für die Finanzierung von etwa einer Woche unterwegs sein hat die Arbeit sich gelohnt!